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»Blood Orange« von Harriet Tyce

„Schneller F*** gefällig?“ So lautet eine von vielen ähnlichen SMS in »Blood Orange«, die die Protagonistin und Anwältin Alison schreibt. Und dieses Zitat sagt auch schon, worum es in diesem „Thriller“ geht. Ja, richtig gelesen. Der Roman wurde als „Thriller“ tituliert, wobei mir der Thrill leider verborgen blieb.

Doch worum geht es? Seit vielen Jahren ist Alison Anwältin und hat stetig darauf hingearbeitet, mit Mordprozessen in die Riege der Staranwältinnen aufzusteigen. Nun ist es endlich soweit, sie bekommt einen Fall, in welchem sie eine Ehefrau verteidigen soll, die offensichtlich ihren Mann getötet hat. Zumindest gibt die Beschuldigte es selbst zu und möchte dafür verurteilt werden.

Leider wurde dieser Prozess im Roman zum Nebenstrang. Im Vordergrund stand die Figur der Anwältin mit ihren Problemen. Sie ist eine Alkoholikerin und betrügt ihren Mann mit einem Kollegen. Das mag höchst widersprüchlich klingen, allerdings hatte sich für mich aber nie ein Widerspruch gezeigt. Ihr Verhalten ist so widerwärtig, dass sie kaum Fans gewinnen wird. Ihre Versuche – sind es wirklich welche? – aus der Abhängigkeit ihres Liebhabers und des Alkohols auszubrechen, sind halbherzig. Ihre tausenden Entschuldigungen gegenüber ihrem Mann und ihrer Tochter sind so abgedroschen, dass man als Leser nicht mehr daran glauben mag, dass sie sich ändert. Gerade hat sie ihrer Tochter zur Wiedergutmachung ein gemeinsames Pizzaessen versprochen, da geht sie noch in eine Bar nur „ein Glas“ und simst ihrem Lover, um um einen Quickie zu betteln. Schließlich liegt sie am nächsten Morgen betrunken im Büro. Alison ist einfach nur verabscheuungswürdig mit solch einer Vehemenz, dass sie in mir keinen Fan gefunden hat. Natürlich war ich neugierig, was aus ihr im Verlauf der Handlung werden würde. Zwar konnte es mich nicht befriedigen, aber insofern kann man dem Roman nicht zuschreiben, dass es ihm an Spannung fehlt. Doch die Begeisterung für diese Protagonistin blieb auf der Strecke.

Im Gegensatz zur Figur der Protagonistin ist der Erzählstil vollkommen richtig gewählt. Der Roman wird in der ersten Person im Präsens erzählt. Damit ist der Leser ganz nah an den Ereignissen und im Kopf von Alison. Doch leider sind die Entscheidungen von ihr trotzdem nicht nachvollziehbar.

„Blood Orange“ ist der Debütroman der schottischen Autorin, die vielleicht allzusehr aus ihrem eigenen Alltagsgeschehen als Prozessanwältin in London berichtet. Man kann ihn zwar gut lesen, es ist ein sehr spannendes Familiendrama, kein Thriller (dieses Label auf dem Cover weckt falsche Erwartungen) und man muss aber nicht Fan der Hauptfigur werden.

Harriet Tyce
Blood Orange
Aus dem Englischen von Kerstin Winter
Diana/ Random House, München
ISBN 9783453423145

Rezension von:
© Detlef Knut, Düsseldorf 2019
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