»Heimliche Fährten« ist der sechste Kriminalroman um Chief Inspector Armand Gamache von der in Toronto geborene Louise Penny. Sie ist die Lady of Crime Kanadas und ihre Krimis weisen eine außerordentliche Spannung auf, der sich ein Leser nur schwer entziehen kann.
»Heimliche Fährten« entführt nach Quebec City voller Eis und Schnee. In der anglophonen Bibliothek der Literary and Historical Society wird die Leiche eines als Spinner geltenden Hobbyhistorikers gefunden. Chief Inspector Gamache wird vom örtlichen Polizeichef gebeten, bei den Ermittlungen zu helfen. Allerdings muss ich bereits hier einräumen, dass dieses nicht die einzige Ermittlung ist, die durchgeführt wird, denn der Stil von Penny ist so komplex, dass man anfangs Schwierigkeiten haben könnte, in das Universum der Autorin rund um Three Pines vorzudringen. Es sind sehr viele Stränge, die es zu verfolgen gilt. Es sind sehr lange dabei, genauso wie sehr kurze. Dem Leser werden Informationen vorenthalten, die ihm auch kurzfristig immer wieder bei der Stange halten. Zum Beispiel wenn über Seiten hinweg von einem Video gesprochen wird, welches im Internet veröffentlicht wurde und unfassbar sein soll. Aber der Leser erfährt nicht, worum es in dem Video geht.
immer wieder einen neuen Kick
Solche Einlagen geben dem Roman immer wieder einen neuen Kick. Die dargelegten Handlungsstränge spielen nicht alle in der Gegenwart, sondern reichen anhand der Biografie der Figuren zurück, oder auch in die historische Vergangenheit Kanadas. Bedauerlich ist allerdings, dass der Rückblick in die Vergangenheit satztechnisch nicht im Roman hervorgehoben wird. Von einem Satz zum nächsten Satz geht es nahtlos in die Rückblende und auch umgekehrt, was dazu führt, dass man meist den vorangegangen Absatz erneut lesen muss, um gedanklich umzuschalten. Leser können erwarten, dass sie visuell auf solche Szenenwechsel vorbereitet werden.
Die Komplexität der Handlungen geht natürlich mit der Komplexität des Figurenensembles einher. Der Leser lernt sehr viele Menschen kennen, nicht alle sind sympathisch, aber sie sind durchaus interessant. Man muss die vorhergehenden Romane nicht unbedingt gelesen haben, um die Hauptfiguren um die Protagonisten herum kennen zu lernen. Das ist ebenfalls sehr gut von Luise Penny gemacht.
Quebec, über Kanada und seine Gesellschaft
Die Informationen über Quebec, über Kanada und seine Gesellschaft aus der Gegenwart und aus der Vergangenheit haben auch für mich völlig neue Sichtweisen auf dieses Land geboten. Den Zwist zwischen der frankophonen und der anglophonen Bevölkerung, die sicherlich nicht der schriftstellerischen Freiheit zuzuordnen ist, hatte ich nicht so erwartet. Wer sich auf diesen Roman »Heimliche Fährten« einlässt, wird also auch über Kanada und seine Menschen etwas lernen.
Ich habe mich gefragt, wie ich diesen Roman beschreiben würde, wenn ich es sehr kurz halten sollte. Ich denke, ich würde ihn vom Tempo her am ehesten mit Roman von George Simenon vergleichen. Ruhige Ermittlungen und Analysen. Andererseits hat die Beteiligung der Vereine, wie der Literary and Historical Society, etwas von den britische Romanen einer Agatha Christie. Auch die Auflösung der einzelnen Handlungsstränge geht in diese Richtung, denn die Erläuterungen werden oft an eine Gruppe von Zuhörern gerichtet.
Da wir schon mal bei der Auflösung sind, ist es vielleicht erwähnenswert, dass der Showdown etwa 150 Seiten vor dem Ende des Romans beginnt. Selbstverständlich wird damit der Sog noch stärker.
Bei alledem schafft Penny noch jede Menge Humor in die Sätze zu legen und auch die Action kommt nicht zu kurz.
Doch mit den letzten Seiten war ich vollends überzeugt, einen erstklassigen Roman gelesen zu haben. Es wurden winzige Schnipsel gelöst, deren Vorkommen im Roman ich schon beinah vergessen hatte. Erst mit der Auflösung wurden sie mir wieder ins Gedächtnis zurückgeholt. „Ach ja, das war ja auch noch.“ Wie ich eingangs schrieb: große und kleine Stränge, die es alle zu verfolgen gilt.
Louise Penny
Heimliche Fährten
Aus dem Englischen von Sepp Leeb
Kampa, Zürich
ISBN 9783311120209
© Detlef Knut, Düsseldorf 2021
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