„Zeit zu verzeihen“: Im Januar 1945 machen sich die meisten der Bewohner des kleines Ortes Wartenberg in Ostpreußen mit Sack und Pack auf den Weg ins 17km entfernte Allenstein um von dort einen der letzten Züge in Richtung Westen zu bekommen. Als eine der letzten entschließt sich auch die verwitwete Rosa zusammen mit ihren drei kleinen Jungs Walter, Heinz und Viktor ihre Heimat zu verlassen. Hatte sie doch ihrem Mann, als er das letzte Mal zuhause war versprochen, immer auf die drei aufzupassen und sie vor dem Krieg zu schützen.
Bewegende Schicksale – „Zeit zu verzeihen“
In Allenberg registriert sie, dass der Zug in den alle einsteigen sollen, nicht Richtung Westen sondern nach Osten fahren wird und schafft gerade noch den Absprung. Auf der Toilette finden sie ein Baby, das dann von zwei Frauen, die es Clara nennen, mitgenommen wird, die zur Insel Rügen wollen. Rosa kann mit ihren Jungs aus Allenstein fliehen, macht sich auf den Weg zurück in ihr Haus in Wartenberg, wo sie alles daran setzt, ihren Jungs ein gutes Leben zu bieten.
1965 begegnen wir Baby Clara wieder, die in der DDR zu einer jungen Frau heran gewachsen ist und hier eine Ausbildung zur Krankenschwester macht. Sie erfährt, dass ihre leibliche Mutter Barbara, die nach 20 Jahren in kasachischer Gefangenschaft in einer psychiatrischen Einrichtung lebt, sie nie vergessen hat und nun versucht sie zu finden. Und sie lernt Viktor kennen, den Mann, der sie als kleiner 3jähriger Junge damals in Allenstein als Baby sehr gerne behalten hätte…
Was für eine Geschichte, die schon auf der ersten Seite Gänsehaut bei mir aufsteigen lässt. Für mich ist es schier unvorstellbar, was Frauen aushalten können, was sie zu leisten und zu erleiden im Stande sind – für ihre Kinder. Welchen Mut sie immer wieder aufbringen um ihr Liebstes zu schützen. Mich hat diese emotionale Geschichte voll gepackt, gefesselt und bis zum Schluss nicht mehr losgelassen.
Ich bin in sie hinein getaucht, habe mit den Frauen und auch den drei Jungs gelitten, gemeint die reale als auch die emotionale Kälte, den Hunger und die Angst spüren zu können. Und ich habe Rosa dafür bewundert, wie und was sie aus fast Nichts alles zaubert. Genau so wie Barbara, die 20 Jahren Zwangsarbeit übersteht um dann feststellen zu müssen, dass ihr Mann eine neue Familie hat und er die Scheidung will.
Aber auch Clara durchlebt im Gefängnis eine harte, demütigende Zeit ohne Empathie und Zuspruch, obwohl sie schwanger ist. Es war zum Teil sehr schwer auszuhalten, was ich hier lese. Ein paar Tränen sind geflossen. Ich habe aber auch geschmunzelt bei dem Gedanken, wie viel Trost und Kraft ein pfeifender Wasserkessel spenden kann. Und dass die Liebe alles aushalten kann und am Ende siegt.
Grandioser und mitreißender Erzählstil
Autorin Hera Lind begeistert mich immer wieder mit ihrem grandiosen und mitreißenden Erzählstil, der mir Bilder in den Kopf zaubert und so mein privates Kino anheizt. Auch wenn sie die wahren Geschehnisse nicht eins zu eins übernommen hat, überwiegen die Begebenheiten dreier starker Frauen, die ihr Schicksal angenommen, überstanden und gemeistert haben.
Ein bewegender, spannender und sehr berührender Tatsachenroman, der mich gefangen genommen und begeistert hat. Den ich sehr gerne gelesen habe und der mich sehr gut unterhalten hat.
Hera Lind
Zeit zu verzeihen
Knaur, München
ISBN 9783426528389
Rezension von
© Gaby Hochrainer, München 2024
Was es sonst noch gibt: Bücher, die gefallen
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