»Wechselspiel in Mogontiacum« von Franziska Franke

Franziska Franke ist bekannt für ihre Sherlock-Holmes-Krimis (siehe diverse Rezensionen in diesem Blog), in denen sie brilliert wie der Schöpfer dieses Privatdetektivs selbst.Doch die Schriftstellerin schreibt auch andere Kriminalromane. So erschien 2015 im Salonlöwe Verlag der vorliegende Krimi, der zur Zeit der Römerherrschaft in Mainz und Köln spielt.

Landgutsbesitzer Marcus, der nach den Turbulenzen seines ersten Falles alles in Ruhe angehen wollte, wird vom Legaten beauftragt, den Tod eines Bankiers aufzuklären. Er schlüpft also erneut in die Rolle eines privaten Ermittlers, die er eigentlich ablehnen wollte. Wenn er denn nicht befürchtet hätte, dass sein Bruder Lucius wie die halbe Bevölkerung Mainz‘ – wenn man den Gerüchten glauben schenken darf – ebenfalls bei dem Bankier verschuldet sei.

Da zur damaligen Zeit von Kriminalpolizei nicht die Rede sein konnte, wird mit Marcus ein Privatdetektiv etabliert. Passend dazu werden die Ermittlungen aus der Sicht des Ich-Erzählers geschildert. Beeindruckend und einfühlsam beschreibt Franke die Örtlichkeiten und das Leben zu Zeiten des Römischen  Reiches. Viele details werden anschaulich beschrieben und der Leser fühlt sich beim Lesen in die damalige Zeit versetzt. Als Kunsthistorikerin und Stadtführerin kennt die Autorin ihre Heimatstadt Mainz und weiß sehr wohl auf das eine oder andere Kleinod der Stadt hinzuweisen. Doch nicht nur der Historienliebhaber kommt hier auf seine Kosten. Mit vielen Verwirrungen und falschen Fährten kann sich auch der rätselliebende Krimileser einige vergnügliche und spannende Stunden bereiten. Die kuriosen Geschehnisse und Überraschungen lassen nicht nur den Protagonisten die Situation neu überdenken. Doch erst am Schluss werden Marcus und die Leser mit dem Täter belohnt.

Interessant und spannend bis zur letzten Seite.

Franke, Franziska 
Wechselspiel in Mogontiacum
Salonlöwe Verlag, Mainz
ISBN: 9783944571379

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016

Teilen mit:

Karr und Wehner: Geierfrühling

Bereits in den 1990er Jahren waren die Bücher der Gonzo-Reihe des Autorendupo Karr & Wehner erschienen. 2015 gab es eine Neuauflage der vier Romane im Klartext-Verlag. Die Krimis, die mit dem Glauserpreis des SYNDIKATS ausgezeichnet worden waren, handeln von dem Essener Videoreporter Gonschorek, der den Spitznamen Gonzo trägt. Er ist einer, der stets mit der Videokamera herumläuft, den Polizeifunk abhört und von einem tatgeschehen zum nächsten Unfall hastet, um einige Bilder einzufangen, die er dann an die TV-Sender verkaufen kann. Er lebt also davon, stets als Erster zu wissen, wo gerade etwas passiert, um daraus eine Story zu machen, die in den Medien aufschlägt.
In „Geierfrühling“ gerät Gonzo unversehens in einen Kriminalfall, weil er eher zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Er tummelt sich am Essener Hauptbahnhof auf der Suche nach der Story, spricht mit Obdachlosen, Prostituierten und den Leuten eines privaten Sicherheitsdienstes. Kurze Zeit später ist einer der Sicherheitsleute tot. er wurde im Bahnhofsklo gefunden. Die Polizei verdächtigt eine Polin, die am Bahnhof anschaffen geht. Doch Gonzo weiß, dass sie es nicht gewesen sein kann, denn zur fraglichen Zeit hatte sie ihm eine seiner Videokameras geklaut. Er war das Alibi für sie. Nun beginnt Gonzo selbst zu ermitteln. Nicht zuletzt deshalb, weil er eine Story daraus machen will, die e vrkaufen kann.
Das Autorenduo hat diesen Krimi als schnellen, schmutzigen und actionreichen Regionalkrii angelegt. Hier wird keinesfalls gemächlich ermittelt, sondern der Protagonist torkelt von einem Chaos ins andere, bekommt selbst heftig Hiebve, weil er sich mit den falschen Leuten anlegt und Gerät in den tatverdacht bei der Polizei. Dabei werden von den Autoren Themen aufgegriffen, die es damals genauso gab wie heute: z. B. das Thema der rechten Neo-Nazis, die heute offenbar wieder salonfähig geworden sind, damals aber noch an Glatzen und Bomberjacken erkennbar waren. Kurze Dialige tragen zu der Schnelligkeit der handlungen bei und unterstützen den Jargon, der in den Kreisen, in denen Gonzo arbeitet, offenbar gerecht wird. Die Regionalität dieses Krimis wird durch die Handlungsorte, die durch ganz Essen und hauptsächlich rund um den Hauptbahnhof führen, unterstrichen. Mit dem Auto geht es häufig von einen Stadtteil in den anderen. Die Bilder, die dem Leser daheim in den Kopf projiziert werden, sind sehr realistisch. „Geierfrühling“ ist ein rasanter, harter Krimi, dem lediglich die überaus kleine Schrifttype im Druckbild angelastet werden kann.
(Es gibt die vier Gonzo-Romane auch zusammen in einem Schuber!)

Karr und Wehner
Geierfrühling
Klartext Verlag, Essen
ISBN: 9783837514070

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016

Teilen mit:

Minette Walters: Das Echo

Ein vor sechs Jahren verschwundener Betrüger, ein vor sechs Monaten verhungerter Obdachloser, ein Journalist, der von seinem Chef gedrungen wird, endlich mal wieder eine große Story zu schreiben, die sich für die Zeitung lohnt. So könnte man die Eckpunkte dieses Romans der englische Schriftstellerin Minette Walters benennen. Er beginnt damit das in der Garage der wohlhabenden Architektin Amanda Powell eines Tages ein Stadtstreicher tot aufgefunden wird. Dem ersten Anschein nach ist er verhungert. Merkwürdig ist aber, dass die Architektin die Bestattungskosten für diesen Unbekannten übernimmt. Dies findet besonders der Journalist Michael Deacon, auf der Suche nach einer großen Story. Sein Interesse ist geweckt, um an dem Schicksal des Stadtstreichers dran zu bleiben. Es dauert nicht lange, da stößt Deacon auf den Ex-Ehemann von Amanda, der vor sechs Jahren nach einem aufgeflogenen Betrugsskandal spurlos verschwunden ist. Hat der verschwundene Ehemann etwas mit dem Obdachlosen zu tun?
Neben dem besonders gut verschachtelten Plot hat mir die Figur des Michael Deacon sehr zugesagt. Er ist keiner der nach Karriere strebenden Journalisten, sondern einfach nur ein besonnener Typ, der eine gute Arbeit abliefern möchte. Vor Jahren ist ihm seine Frau davongelaufen, weshalb es schließlich auch zum Zerwürfnis mit seiner Mutter kam. Er lebt allein in seiner Wohnung und führt ein einsames Single-Dasein. Doch bei seinen Recherchen trifft er auf den 14jährigen Kerry, der ebenfalls unter den Stadtstreicher lebt. Der Junge ist beeindruckt von dem Respekt, den ihm der ältere Mann zollt. Kerry schließt Deacon schließlich ins Herz. Doch diese Zuneigung ist keine Einbahnstraße. Deacon bietet dem jungen Unterkunft in seiner Wohnung an. Diesem Duo schließt sich letztendlich noch ein Kollege von Deacon an. Dieser Kollege hat irgendwie seine Pubertät verschlafen und verfügt deshalb über eigenartige sexuelle Gelüste. Auch ihm gewährt Deacon Unterkunft seiner Wohnung. Die Konstellation dieses Dreiergespanns beinhaltet jede Menge Konfliktstoff, andererseits aber auch Grund genug für humorvolle Szenen und Dialoge.
Minette Wolters ist ein schwer zu durchschauender Krimi gelungen. Die Hauptfiguren des Romans sind authentisch und letztendlich sympathisch, auch wenn es sich dabei um Täter handeln sollte. Die Dialoge sind zum Teil humorvoll und es macht Spaß, den Leuten „zuzusehen“, wie sie sich in ihrem Chaos verstricken. In ein lesenswerter Roman.

Walters, Minette
Das Echo
Aus dem Amerikanischen von Mechthild Sandberg-Ciletti
Goldmann Verlag

ISBN 9783442445547

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016

Teilen mit:

Jennifer Niven: All die verdammt perfekten Tage

Finch steht auf dem Glockenturm seiner Schule und überlegt, ob es wohl einen besten Tag zum Sterben gibt. Er hat die Diagnose erhalten, dass er unaufhaltbar sterben wird. Warum dann nicht jetzt? Vielleicht ist heute doch der beste Tag dazu, denkt er. Warum sollte er dem Tod die Auswahl des Zeitpunktes überlassen? Doch dann erblickt er auf dem Mauersimms des Turms Violet. Sie schaut ihm in die Augen und scheint ihn anzuflehen, nicht zu springen.. Aber Finch ist sich gar nicht so sicher, ob sie nicht vielleicht selbst springen. würde. Die Situation ist mehr als verfahren. Zudem scheint Violet Angst vor einem Sturz zu haben. Indem Finch Violet for einem Absturz schützt, schützt sie ihn vor seinem Selbstmord.
Im zweiten Kapitel erfährt der Leser etwas mehr über Violet, die vor einigen Monaten ihre Schwester bei einem Unfall verloren hat, an dem sie sich selbst die Schuld gibt. Außerdem war ihre Schwester zugleich ihre beste Freundin, was den Schmerz besonders tief macht. Violet ist deshalb in Therapie.
In abwechselnden Kapiteln, die jeweils aus der Sicht von Finch oder Violet erzählt werden, erlebt der Leser, wie sich beide behutsam näherkommen und welche Möglichkeiten sie erfahren, ihre Schicksale nicht ihr alltägliches Leben bestimmen zu lassen. Es steuert alles auf eine anrührende Liebe zu. Als beide für den Leser längst sichtbar ineinander verliebt sind, sprechen sie selbst nur von Freundschaft. Als sie von ihrer Liebe ahnen, sprechen sie in Gegenwart ihrer Klassenkameraden und Eltern von Freundschaft.

Jennifer Niven hat die Geschichte aufgebaut wie ein großes Puzzle. Viele Kapitel (deren Überschriften wie eine Tagebuchnotiz wirken), besonders die kleineren, erscheinen wie detaillierte Beobachtungen des ganz normalen Alltags von Jugendlichen. Gespräche über den ersten Kuss, die gestrige Party. Diese kleinen Details wirken banal. Sie sind es aber angesichts des tragischen Hintergrundes der Schicksale der beiden Protagonisten mitnichten. Sie zeigen, dass das normale Leben weitergeht. Dass es selbst vor der Liebe kein Entrinnen gibt, selbst, wenn ein großes Unheil droht. Die Komposition all dieser Einzelheiten zu einem komplexen Bild einer herzlichen Beziehung zweier junger Menschen macht dieses Buch zu einem wahren Stück Literatur. Doch leider nicht bis zum Ende des Buches. Das ist sehr schade. Die Auflösung der Geschichte erfolgt viel zu früh. Alles, was danach kommt, ist nicht mehr spannend und liegt an der Grenze zum Sachbuch. Auch anschließende Adressen zu Selbsthilfegruppen von selbstmordgefährdeten Jugendlichen verstärkt diesen Eindruck. Das wertet den Roman leider ab, der ohne diesen Schluss ein sehr, sehr starker Roman hätte sein können. Doch den erhobenen Zeigefinger ignorierend darf sich der Leser auf eine wunderschöne und unterhaltsame Geschichte freuen.

Niven, Jennifer
All die verdammt perfekten Tage
aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst
Limes Verlag, München
ISB: 9783809026570

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016

Teilen mit:

Ian Rankin: Mädchengrab


In diesem achtzehnten John-Rebus-Roman wird der Detective Inspector A.D. aus dem Ruhestand zurückgeholt. Nun sitzt er in der Abteilung mit den „Cold Cases“, den nicht aufgehklärten Fällen der Kripo, und hadet mit seinem aroganten Chef. Nebenbei bekommt er mit, dass es aktuell ein vermisstes Mädchen gibt, an deren Suche die Kollegen in den anderen Abteilungen des Präsidiums von Edinburgh arbeiten. Dann wird Rebus von der Mutter eines ebenfalls vermissten Mädchens angesprochen. Doch deren Tochter ist vor vielen Jahren verschwunden. Das Mädchen wurde nie gefunden. Die Mutter hatte sich bei jedem vermissten Mädchen immer wieder an die Polizei gewandt in der Hoffnung, dass diese den Fall ihrer Tochter wieder aufgreifen. Das ist aber all die Jahre nicht geschehen. Sie hatte nie Gehör gefunden. Nun setzt sie alle Hoffnung auf John Rebus, von dem sie weiß, dass er sich in einen Fall verbeißen kann. Rebus schreit zwar nicht „Hurra“ über diese Aufgabe, aber das Leid der Mutter geht ihm schon nah. Außerdem  wird ihm ein Hintertürchen zu dem aktuellen Fall des vermissten Mädchens geöffnet und er kann wieder mit seiner ehemaligen Kollegin Siobhan Clarke zusammenarbeiten. Er bekommt wieder das Gefühl, noch gebraucht zu werden und nicht zu den „Cold Cases“ auf dem Abstellgleis zu ruhen.
Dieser Roman ist ein fesselnder Regiokrimi aus Schottland. Rankin bezieht die schottische Landschaft mit vielen Details ein. Straßen, Plätze und Kreuzungen werden von ihm mit Akribie beschrieben und nach der Lektüre dieses Romans könnte man schnell das Gefühl bekommen, selbst die eine oder andere Straße mit verbundenen Augen befahren zu können. Dieser Lokalkolorit gefällt mir. Was mir aber besonders gefällt, sind die Figuren. Der greinelnde Rebus und seine Kollegin üben einen starken Sog aus. Es ist wie eine Hassliebe zwischen den beiden. Rebus wird wegen seiner querulanten Extratouren im Präsidium nicht gern gesehen und könnte ein Hemmklotz für die Karriere von Clarke darstellen. Das weiß sie, auch sie ist nicht mit allem einverstanden, was er macht. Aber schließlich kennt sie ihn zu gut, um nicht seine Ermittlerqualitäten und auch seine versteckten menschlichen Eigenschaften richtig einzuschätzen.
Es macht einfach Spaß, diesen Ermittlungen zu folgen, sich gemeinsam mit den Ermittlern in die Irre führen zu lassen, sich die eine oder andere schottische Gepflogenheit zeigen zu lassen. Nur selten hält mich ein Buch so davon ab, im Anschluss sofort nach einern neuen Roman zu greifen, wie es dieses getan hatte. Ich trauerte dem Ende hinterher und hatte zwei ganze Tage Lesepause.
       
Rankin, Ian
Mädchengrab
Goldmann, München
ISBN 9783442480913
© Detlef Knut, Düsseldorf 2015
Teilen mit:
9783809026594 Cover1

Fred Vargas: Das barmherzige Fallbeil


Es ist einige Zeit her, dass ein neuer Kriminalroman um den Pariser Kommissar Adamsberg in Deutschland erschienen ist. Nun ist es soweit. Fred Vargas’ „Das barmherzige Fallbeil“ erschien in Frankreich in einem neuen Verlag und hat gleichermaßen in Deutschland ein neues Heim gefunden. Für die Freunde von Adamsberg und seinem dienstlichen Partner Danglard hatte das Warten nun ein Ende.

Darum geht es bei diesem neuen Fall: Kommissar Bourlin vom 15. Arrondissement in Paris wird zu einer Leiche gerufen. Doch offensichtlich handelt es sich bei der Toten in der Badewanne um ein Selbsttötungsdelikt. Der zuständige Untersuchungsrichter drängt auf einen schnellen Abschluss der Ermittlungen und das Schließen der Akte. Bourlins Bauchgefühl sagt ihm aber, dass es sich nicht um Selbstmord handelt. Besonders wegen eines ungewöhnlichen Symbols auf dem Waschtisch, ähnlich einem großen „H“, jedoch mit zwei Querstrichen, einem geraden und einem gekrümmten. Bourlin möchte seinen Kollegen Danglard und über diesen Adamsberg von der Kriminalabteilung im 13. Arrondissement, dem Studentenstadtteil Quartier Latin, hinzuziehen. Immer an der Aufklärumng eines Rätsels interessiert sind diese beiden schnell bereit dazu. Mehr durch Zufall gelangen sie auf eine Spur, der sie unbedingt nachgehen wollen. Doch dabei treffen sie auf einen weiteren „Selbstmord“.
Nahezu liebevoll kümmert sich Vargas um die vor Jahren geschaffenen Protagonisten. Auf interessante Weise und in vielen Bildern bringt sie den Lesern die Figuren nahe, sodass es nicht notwendig ist, alle vorhergehenden Vargas-Krimis gelesen haben zu müssen. In knappen Worten beschreibt sie Adamsberg und Danglard in einem Dialog von Bourlin mit einem jungen Kollegen folgendermaßen, was sich in der deutschen Übersetzung dann so liest:
„Wenn wir schon im Dunkeln tappen“, meinte Adamsberg im Fortgehen mit einer laxen Handbewegung, „kann man ja auch mal sagen, was einem so einfällt. Mich erinnert das Ding an eine Guillotine.“
Bourlin sah seinen Kollegen eine Weile an.
„Wundere dich nicht“, sagte er zu seinem Brigadier. „Das ist Adamsberg.“
Als wäre damit alles erklärt.
„Aber dieser Commandant Danglard“, meinte der junge Mann, „was hat der in seinem Schädel, dass er das alles weiß?“
„Weißwein.“

Es sind nicht nur die Spannung und die Beliebtheit von Adamsberg, die den Leser an die Geschichte kleben, sondern auch der leise Humor, vom ersten Satz an festklammert. Die Dialoge, die normaler Gespräche genauso wie Frotzeleien unter Kollegen widergeben, sind fortwährend unterhaltsam. Mit zwei Ausnahmen: Die Gespräche mit dem Präsidenten der Robespierre-Gesellschaft weckten kein besonderes Interesse in mir. An diesen Stellen hatte ich eher das Gefühl, als wolle die Schriftstellerin oberlehrerhaft den Lesern ein Stück der Geschichte Frankreichs vermitteln. Ein Straffen dieser Sequenzen hätte dem Roman gutgetan. Das betrifft auch die Passagen über Island und dessen Mythologie, bei denen sich Vargas genauso zu verzetteln scheint, wie es Adamsberg von dessen Kollegen vorgeworfen wird. Diese Passagen führen bei mir als Vargas-Fan leider zu Punktabzug.
Belohnt wird der Leser schließlich mit der Auflösung der einzelnen Konflickte und Irrwege, beispielsweise die Herkunft von Victor und Amédee oder die Geschehnisse auf der isländischen Insel vor mehreren Jahren. Faszinierend schließlich die komplexe Auflösung des Falles, die Adamsberg seinen Kollegen erläutert. Man kommt als Leser nicht umhin, zuzustimmen, wenn er sagt, dass sie, seine Kollegen, auch alles gewusst haben und nur die richtigen Schlüsse hätten ziehen müssen. Als Leser ging es mir genauso. Ich erinnerte mich an die gelesenen Passagen und fragte mich, warum ich nicht auf die Lösung gekommen bin. Wenn das keine Empfehlung wert ist!
       
Vargas, Fred
Das barmherzige Fallbeil
Aus dem Französischem von Waltraut Schwarze
Limes Verlag, München
ISBN 9783809026594
© Detlef Knut, Düsseldorf 2015

Teilen mit:
a book cover with a gun

»Schlussblende« von Val McDermid

Die in Schottland aufgewachsene und in Manchester lebende Literaturdozentin und langjährigen Journalistin Val McDermid hat 1995 die Bestsellerlisten erklommen und ist seitdem regelmäßig in diesen Listen anzutreffen. Mit ihren psycholgischen, nervenkitzelerzeugenden Romanen ist die Kriminalautorin international in der ersten Liga angekommen und nicht mehr wegzudenken.

Teilen mit:
Unschuld

»Unschuld« von Jonathan Franzen


Purity, genannt Pip, hadert mit sich und der Welt. Sie ist ohne Vater aufgewachsen. Ihre Mutter weigert sich, ihrer Tochter auch nur den kleinsten Hinweis zu geben. Das führte seit Pips Kindheit zu einem Kleinkrieg  mit der Mutter, der sich in einem ständigen Hin und Her zwischen Hass und Liebe zeigt.
Pip arbeitet im Direktmarketing bei einer Firma, die „Lösungen“ anbietet. Schwerpunkte sind Klimawandel, Energieressourcen und andere ökologische Themen. Doch schon bald merkt sie, dass sie mit ihrer telefonischen Akquise die Menschen in Verträge drückt. Das entspricht so gar nicht ihrer eigenen Lebensauffassung. Da lernt sie die Deutsche, Annagret, kennen. Die vermittelt Pip einen Job bei dem als Hacker und Whistleblower bekannten Andreas Wolf. Bevor Pip nach Bolivien, dem geheimen Unterschlupf von Wolfs Unternehmen, reist, startet sie einen letzten Versuch bei ihrer Mutter, etwas über ihren Vater zu erfahren und droht ihr, zu Andreas Wolf zu gehen, der ihr bei der Suche nach dem Vater helfen wird.

So weit der erste Teil des Romans „Unschuld“ vom sehr gut deutsch sprechenden Jonathan Franzen. Der zweite Teil liest sich wie ein eigenständiger Roman. Der Leser lernt Andreas Wolf kennen, der in der DDR aufgewachsen ist. Sein Nachname lässt erkennen, dass er zum großen Familienclan der „Wolfs“ gehört. Friedrich Wolf war ein überaus bekannter Schriftsteller, Konrad Wolf ein sehr guter Filmregisseur und dessen Bruder Markus Wolf war Chef der Auslandsspionage bei der Staatssicherheit der DDR. Vor diesem Hinterghrund erhielt die Figur des Whistleblowers und Dissidenten einen Vater, der Mitglied des Zentralkomitees der SED war. In diesem Teil erfährt der Leser auch von der Liebesbeziehung zwischen Annagret und Andreas Wolf, ohne jedoch allzusehr in das Romantische zu verfallen.
Im dritten Teil wird von Leila berichtet, die investigativ recherchiert und Pip bei sich aufgenommen hat. Pip arbeitet inzwischen bei der Organisation Andreas Wolfs, spielt in diesem Teil eine eher untergordnete Rolle. Viel spannender sind Leilas Recherchen und die Machenschaften der kriminellen und/ oder politischen Elemente.
Obwohl Franzen auch diesen Roman wieder wortgewaltig und unterhaltsam (subtile Ironie lässt er selten vermissen) schreibt, übertrifft er in meinen Augen nicht seinen Roman „Die Korrekturen“. Auch, wenn es erneut um eine Familiensaga geht. Immer wieder stößt man auf langwierige Passagen, die der Lust am Lesen entgegenstehen. Hätte ich nicht schon andere Romane des Schriftstellers und diesen Klappentext, der mir bereits verrät, wohin die Geschichte gehen soll, gelesen, hätte ich wahrscheinlich nach spätestens fünfzig Seiten abgbrochen und mir das darauffolgende Lesevergnügen versagt. Indem ich das nicht tat, wurde ich belohnt mit eines faszinierenden Lebensgeschichte verschiedener Figuren. Denn hier gibt es nicht nur einen Protagonisten, jede der Figuren ist facettenreich und höchst interessant.
Erstaunlich fand ich den Abschnitt um Andreas Wolf in der Zeit von den 1960er Jahren bis zur Wendezeit 1989/1990. Sehr gut recherchiert kommt Franzen dem tatsächlichen Geschehen verdammt nahe, was nicht zuletzt an der Unterstützung von Thomas Brussig gelegen haben mag, der ja bekanntlich sehr erfolgreiche „DDR-Romane“ schreibt.
Trotz zwischenzeitlicher Überlängen hat mich dieser Roman gefesselt. Wie auch bei seinen anderen Romanen werden die Protagonisten in separaten Teilen vorgestellt. In komplexen Situationen gibt er den Figuren Raum, um sich den Lesern zu präsentieren. Nur selten erfolgen unmittelbare Rückgriffe auf die anderen Teile, was alleine schon wegen der nicht chronologisch verlaufenden Teile schwierig sein dürfte. Erst im Großen und Ganzen werden die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Figuren aufgelöst und sichtbar. Mit jeder Seite, die man liest, fügt sich ein Rädchen ins andere, und man kommt in den Rhythmus der Gesamthandlung. Diese außergewöhnliche Komposition der einzelnen Teile, die jeder in einer andreen Zeit zu spielen scheinen, hat mich stark beeindruckt.
Weiterhin beeindruckt hat mich die Genauigkeit, mit der Franzen die Stimmung und Verhältnisse in der DDR wiedergibt. Von der oberflächlichen Arbeitsweise der Amerikaner keine Spur. Außerdem hat mir die leise Ironie gefallen, mit der der Autor beispielsweise die Naivität der Jugend in ihrem Drang nach „etwas bewegen wollen“, oder auch den Aufstieg eines DDR-Bürgers zum Whistleblower, oder das schwierige Verhältnis zweier sich Liebender, beschreibt. Schließlich setzte ich mich am Ende des Romans in meinem Sessel zurück, atmete durch und dachte: Was für eine Geschichte.

       
Franzen, Jonathan
Unschuld
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld
Rowohlt Verlag
ISBN 9783498021375

© Detlef Knut, Düsseldorf 2015

Teilen mit: